Wozu Bürgerinitiativen?

Was ist eine Bürgerinitiative?

Eine Bürgerinitiative (kurz: BI) ist eine aus der Bevölkerung heraus von Bürgern gebildete Gruppe, die aufgrund eines konkreten Anlasses Einfluss auf die öffentliche Meinung, auf staatliche Institutionen, politische Parteien oder andere gesellschaftliche Gruppierungen nimmt.

Bürgerinitiativen beschränken sich oft auf stark eingegrenzte Probleme, („Ein-Punkt-Organisation“). Politische Parteien versuchen dagegen ein möglichst breites Spektrum an Meinungen zu integrieren und so über Wählerstimmen politische Macht zu erlangen. Interessenverbände vertreten mit Hilfe einer entsprechenden Organisation klar identifizierbare Interessengruppen (Lobbyismus).

Bürgerinitiativen sind basisdemokratisch, sie betreiben eine Veränderung von der Bevölkerung (also der Basis jedes demokratischen Systems) aus. Die erforderlichen Maßnahmen werden von der BI koordiniert und organisiert, um mit begrenztem Aufwand der Meinung bzw. dem Anliegen der Bürgerinitiative möglichst viel Nachdruck zu verleihen.

 

Welche Rechtsgrundlage hat eine Bürgerinitiative?

Die wesentlichen rechtlichen Grundlagen für die Gründung und die Arbeit von Bürgerinitiativen sind im Grundgesetz (GG) enthalten.

GG Art. 8

(1)  Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

GG Art. 9

(1)  Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.

GG Art. 17

   Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden.

GG Art. 20

(2)  Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

 

Es ist selbstverständlich, dass Bürgerinitiativen genauso der Rechtsordnung unter- liegen, wie jedes einzelne ihrer Mitglieder.

Für eine Bürgerinitiative ist also nicht etwa eine bestimmte Organisationsform vorgeschrieben. Die meisten Bürgerinitiativen entstehen zunächst als lose Gruppierung ohne feste Organisation. Wenn für die Durchsetzung der Ziele ein längerfristiges Engagement notwendig ist, wird aus der BI oft ein eingetragener Verein. Wenn Bürgerinitiativen langfristige kommunalpolitische Ziele verfolgen, ist oft die Gründung einer Wählergemeinschaft zweckmässig.

 

Wie kann eine Bürgerinitiative ihre Ziele erreichen?

Eine nur einer Partei nahestehende Bürgerinitiative ist meist nicht erfolgreich. Es gilt, Multiplikatoren und Meinungsmacher aus allen Lagern für die Ziele der Bürgerinitiative zu gewinnen. Dazu muss die BI Kompromissbereitschaft erkennen lassen. Dogmatische Ablehnung der Intention der Verwaltung führt nicht zum Ziel. Es müssen stattdessen Alternativen aufgezeigt werden, die das ursprüngliche Konzept der Verwaltung zwar ablehnen, gleichzeitig aber positive Veränderungen des Ist-Zustandes vorschlagen. Es muss sachlich und konstruktiv argumentiert werden, um den Bürgern zu zeigen, dass die BI sich gründlich mit den Absichten der Verwaltung auseinandergesetzt hat.

Eine Bürgerinitiative kann direkt und indirekt Einfluss auf Entscheidungen der Verwaltungen und Regierungsinstitutionen nehmen. Die wichtigsten Möglichkeiten sind…

  • Beeinflussung der Willensbildung in politischen Gremien
  • Beteiligung an Wahlkämpfen
  • Bürgerbegehren und Bürgerentscheide
  • Petitionen

Nachstehend einige Hinweise zu diesen Möglichkeiten:

  1. Beeinflussung der Willensbildung in politischen Gremien
  2. Organisation und Durchführung von Informations- und Diskussionsveranstaltungen mit Vertretern von Parteien und Gremien können hierbei sehr wirksam sein. Leserbriefe sollten sich kritisch mit den Meinungen der Fraktionen auseinandersetzen und scheinbar Allgemeingültiges hinterfragen.

  3. Beteiligung am Wahlkampf
  4. Dazu werden meist Flugblätter verteilt, Unterschriften gesammelt, Demon- strationen durchgeführt und Presseartikel verfasst.

  5. Bürgerbegehren und Bürgerentscheide
  6. Der Bürgerentscheid ist die unmittelbare Beeinflussung der Verwaltung. Das hessische Kommunalwahlrecht schreibt vor, dass ein Bürgerentscheid durchgeführt werden muss, wenn mindestens 10% der wahlberechtigten Bürger einer Kommune dies durch ihre Unterschrift verlangen (Bürgerbegehren). Das Ergebnis des Bürgerentscheids (eine Abstimmung mit Wahlscheinen, auf denen die vorgelegte Frage mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden muss) bindet die Kommunalverwaltung und die Gremien für drei Jahre. Dann kann erforderlichenfalls in der gleichen Sache wieder ein Bürgerbegehren mit einem Bürgerentscheid durchgeführt werden.

  7. Petitionen
  8. Artikel 17 des Grundgesetzes und Artikel 16 der hessischen Verfassung geben jedermann das Recht, sich schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretungen (in Hessen: an den Landtag) zu wenden. Es gibt nur wenige Einschränkungen, z. B. können Gerichtsurteile und –beschlüsse nicht durch eine Petition angegriffen werden, wohl kann aber aufgrund einer Petition das der Entscheidung zu Grunde liegende Gesetz geändert werden. Dabei muss der Petent (= der Einreicher der Petition) nicht wissen oder prüfen, ob der Landtag unmittelbar zuständig ist, denn andernfalls wird die Petition entsprechend weitergegeben. Über das Anliegen der Petition entscheidet der Landtag. [Broschüre des hess. Landtages]

 

Seit wann gibt es Bürgerinitiativen?

Die erste historisch belegte Bürgerinitiative kann wohl nicht identifiziert werden. Als erste Bürgerinitiative nach dem Zweiten Weltkrieg wurde 1947 zum Schutz der Wälder die „Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW)“ von rund 500 Bürgern gegründet. In den 70er Jahren entwickelte sich die Bürgerinitiativbewegung auch als Alternative zur „Außerparlamentarischen Opposition (APO)“. Während sich die APO als Bewegung gegen die Entwicklungen in den Parlamenten, insbesondere des Bundestags, verstand, versuchten die Bürgerinitiativen parteiübergreifend lokale Interessen durchzusetzen. Viele Bürgerinitiativen schlossen sich in den 70er Jahren zu Landesverbänden zusammen und bildeten so die Basis für die Gründung der Partei „Die Grünen“.

 

Haben Bürgerinitiativen überhaupt Erfolg?

Die Gründung einer Bürgerinitiative ist meist die Reaktion auf ein Versagen von politischen Planern in Parteien und Verwaltungen. Interessierte und informierte Bürger müssen feststellen, dass diese Planer lediglich sachliche Korrektheit, nicht aber die Bedürfnisse der Bevölkerung berücksichtigten und rufen eine Bürgerinitiative ins Leben. Sie brauchen einen langen Atem, die Fähigkeit, Mitstreiter und Unterstützer zu gewinnen und den Mut, sich mit einer oft unbeirrbaren Verwaltung anzulegen und in manchen Fällen sogar noch die Häme der Presse zu ertragen. Aber es geht oft nicht anders: Auch bei offensichtlich unsinnigen Projekten der Behörden kann man nicht davon ausgehen, dass eine einmal getroffene Entscheidung - aufgrund einleuchtender Gegenargumente einer Bürgerinitiative - wieder rückgängig gemacht wird.

Es gibt keine „offizielle Erfolgsstatistik“ für Bürgerinitiativen, aber es gibt eine Vielzahl teils spektakulärer Beispiele:

  • Die Grube Messel (heute Weltnaturerbe der UNESCO und eine Touristen- attraktion) wäre als Bauschutt- und Mülldeponie allmählich zugeschüttet worden, wenn nicht eine Bürgerinitiative der Kreiserwaltung Darmstadt-Dieburg in den Arm gefallen wäre.
  • Die Hammermühle in Ober-Ramstadt, heute ohne Zweifel ein bauliches Kleinod in der Stadtmitte, sollte abgerissen und nach dem Willen des Magistrats durch einen mehrstöckigen Zweckbau ersetzt werden. Eine Bürgerinitiative konnte dies glücklicherweise verhindern.
  • Die Wiederaufbereitungsanlage (WAA) in Wackersdorf war in den 80er Jahren eines der politisch umstrittensten Bauprojekte In Deutschland. Am 9. Oktober 1981 gründete sich eine Bürgerinitiative gegen die WAA. 1987 begannen trotzdem die Bauarbeiten, die Proteste der Gegner wurden teilweise gewaltsam unterdrückt. Die Bürgerinitiative, unterstützt durch Tausende von Atomkraftgegnern, kämpfte trotzdem weiter – mit Erfolg: Am 31. Mai 1989 wurde die Bautätigkeit eingestellt.
  • In den 80er-Jahren wurde Boxberg (Baden) bekannt durch die Bürgerinitiative „Bundschuh“ (benannt nach der historischen Bundschuh-Bewegung), die sich gegen eine vom Daimler-Benz-Konzern geplante Teststrecke wehrte. Die Teststrecke wurde schließlich nicht gebaut, weil das Bundesverfassungsgericht die dafür notwendigen Enteignungen für unzulässig erklärte.